Willkommen in der Welt der Düfte
Ein Interview mit Brigitte Witschi, Parfumeurin
Wie nimmt jemand die Welt wahr, der sich seine Nase zum Beruf gemacht hat? Im Gespräch mit Brigitte Witschi gehen wir auf geruchliche Sinnesreise. Wir erfahren, wie die Schweiz riecht und welchen Einfluss Düfte auf unsere Wahrnehmung haben.
Inspiration für neue Düfte holt Sie sich gerne aus Ihrer Vergangenheit – ob aus der Kindheit auf dem Bauernhof oder vom Lippenstift der Tante. Aber auch die Schweiz hat es ihr angetan: Viele Ihrer Parfumkreationen spiegeln unser Land in seinen unterschiedlichsten Facetten wider: Bergimpressionen («enzian»), Flüsse («aarewasser») oder Städte (Bern mit «finn»).
Was hat Sie dazu bewogen, Parfumeurin zu werden?
Meine Neugier. Ich war schon als Kind eine Parfum-Nase: Ich bin auf einem Bauernhof aufgewachsen. Hinter dem Hof hat eine Parfumeurin gewohnt. Wenn sie ihre Düfte hergestellt hat, hat sie die Fenster aufgemacht – so konnte ich ihre Parfums riechen. Ich habe ihr auch mitgeholfen: Flaschen abgefüllt oder Salben gemacht. So bin ich in diese Welt eingetaucht. Viele Leute fragen mich: «Wie kommt man auf die Idee, Parfumeurin zu werden?», aber die Welt der Düfte immer schon ein wichtiger Teil von mir. Es war für mich etwas ganz Natürliches.
Sie bieten in ihrem Atelier Kurse an, in denen man mit Ihnen individuelle Düfte kreieren kann. Sind Sie manchmal selber überrascht, welche Duftmischungen dabei herauskommen?
Ich habe ja lange als Lehrerin für blinde, mehrfach behinderte Kinder gearbeitet. Dadurch habe ich ein gewisses Gespür für Menschen entwickelt. Das kommt mir in diesen Kursen sehr entgegen. Meine Aufgabe ist es, diese Menschen in kurzer Zeit zur Erfassen – in ihrer Ganzheit. Ich muss Ihnen helfen, herauszuspüren, was Sie wirklich wollen.
Natürlich gibt es Menschen, die «08/15-Düfte» kreieren. Die meisten tauchen aber vollständig in die Duftwelt ein und kreieren oft wirklich erstaunliche Parfums. Auch hier gilt es immer, das richtige Mass an Duftstoffen zu finden. Bis wir die perfekte Mischung kreieren, braucht es manchmal vier bis fünf verschiedene Varianten.
Was inspiriert Ihre Düfte?
Das kommt ganz darauf an. Jeder meiner Düfte hat sein eigenes Gesicht. Ich arbeite nach Bildern und halte mich gerne an Erinnerungen – manche reichen weit in meine Kindheit zurück.
Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Als ich ein kleines Kind war, hatte meine Tante in ihrer Tasche ein Etui mit Lippenstiften. Dazumal rochen Lippenstifte noch sehr stark – diesen pudrigen Geruch wollte ich nun in einem Parfum einfangen. Ich habe meinem Parfum («everglow») also einen Stoff beigefügt, den man in den 60er Jahren in Lippenstiften benutzt hat.
Nun haben Sie ein klares Konzept für ein neues Parfum. Wie stellen Sie es her?
Manche Parfumeure in hochindustriellen Produktionen arbeiten sehr technisch: Sie stellen Parfumrezepturen strategisch am Computer zusammen und haben eine grosse Datenbank mit vielen Informationen über die Rohstoffe zur Verfügung.
Ich hingegen lasse mich vornehmlich von der Nase und meiner Intuition leiten und probiere verschiedenste Kombinationen aus. Denn bei der riesigen Auswahl an verfügbaren Duftstoffen kommt es ja auch auf die Konzentration darauf an. Nur ein einziges Tröpfchen in einer Mischung kann einen Duft vollkommen verändern.
Ihre Parfums spiegeln verschiedene Aspekte unseres Landes wider. Städte, Berge und Flüsse haben Sie schon in Düfte umgewandelt. Nehmen wir uns nun die gesamte Schweiz vor: Welchen Duft würden Sie ihr geben?
Oh, das wäre ein frischer, vielschichtiger Duft. Er müsste als Kopfnote das Tessin mit seinen Magnolienblüten enthalten. Dann bräuchte er sicher etwas Kühles, Frisches als Gegensatz, um die Bergluft darzustellen.
Die Städte und Seen der Schweiz müssten auch mit einbezogen werden. Um deren Essenz einzufangen, würde ich durch verschiedene Städte spazieren und mich einmal quer durchriechen. Denn nur so spüre ich die Hauptnote heraus. In Bern ist das für mich zum Beispiel die Aare. Der kühle Fluss hat im Sommer so einen unglaublich schönen Geruch.
Und wissen Sie was ich auch noch hinzufügen würde? Einen Hauch Schokolade.
Der Frühling steht vor der Tür. Welchen Duft verbinden Sie damit?
Schneeglöckchen - die riechen ganz zart und fein nach Frühling. Auch der Geruch des erwachenden Waldbodens. Und die Luft. Ich finde, sie riecht anders, wenn es wärmer wird. Man spürt den Duft der Blüten heraus und es riecht wieder lebendiger, belebter.
Was sind Ihrer Meinung nach die Parfum-Trends für diesen Sommer?
Im Moment scheinen eher schwere, fruchtige Cassis-Düfte mit einem warmen Unterton von Vanille und Tonkabohnen im Trend zu liegen.
Duft-Layering – die Kombination mehrerer Parfums – ist gerade angesagt. Welche Tipps können Sie dafür geben?
Wenn Sie zwei unterschiedliche Parfums zusammenmischen, entsteht ein völlig neuer Duft. Darum empfiehlt es sich für Anfänger, innerhalb einer mindestens benachbarten Duftfamilie zu bleiben. Wenn Sie als Endresultat also ein frisches Parfum wünschen, sollten Sie auch zwei leichtere, blumige und frische Düfte miteinander kombinieren. Ein Spritzer eines orientalischen, schweren Dufts verändert den Duftcharakter sehr. Zum Experimentieren sind Ihnen jedoch keine Grenzen gesetzt.
Wie unterschiedlich nehmen wir Düfte eigentlich wahr?
Gewisse Duftempfindungen sind meiner Meinung nach sozial bedingt. Wenn wir ein frisches Zitronenaroma riechen, weckt das in vielen von uns eine Verbindung zu Putzmitteln oder Allzweckreiniger. Welchen Düften wir als Kind ausgesetzt wurden – in Kosmetika, Lebensmitteln, Hausmitteln – bestimmt darum unter anderem, welche Gerüche und Geschmäcker wir später vorziehen.
Spannend ist, dass Duftempfindungen aber auch kulturabhängig sind. Auch wenn es sich nicht verallgemeinern lässt, sind wir in Westeuropa eher leichten, blumig-frischen Düften zugetan. «Orientalische» Düfte wie Moschus, Ambermischungen oder Oud, sind uns daher oft etwas fremder.
Was fasziniert Sie an der Geschichte des Parfums?
Menschen sind seit Ewigkeiten den Düften verfallen. Schon bei der Entdeckung des Feuers merkten Sie, dass verschiedene Holzsorten unterschiedlich riechen. Danach haben Sie angefangen, Harz zu räuchern, um mit den Göttern zu kommunizieren. Vom Räuchern stammt auch der Name Parfum – Per fumum, was so viel wie «durch den Rauch» bedeutet.
Und eine Anekdote zum Abschluss: Als Napoleon seine Frau Josephine verliess, strich sie vor ihrem Abschied das gesamte Boudoir mit ihrem starken Moschus-Parfum aus. Es wird erzählt, dass das Zimmer noch 60 Jahre nach ihrem Tod nach ihr gerochen hat. Was für eine subtile Art, Präsenz zu markieren und im Gedächtnis zu bleiben!
Weitere Infos zu Brigitte Witschi und ihrem Atelier auf www.artofscent.ch.