Wie Kinder sprechen lernen

- und wie man sie dabei unterstützen kann

Eltern wollen alles richtig machen, doch ständig neue wissenschaftliche Erkenntnisse verunsichern sie. Im Experteninterview verrät uns Corinna Coors, was dazu gehört, sprechen zu lernen und wie Eltern dabei bestmöglich unterstützen können.

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Consumo: Frau Coors, viele glauben, ein Kind muss hören können, dann kann es auch sprechen. Reicht das aus?

Coors: Prinzipiell bringen gesunde Kinder alles mit, was man zum Spracherwerb benötigt. Sie können beispielsweise die Sprachlaute aller Sprachen unterscheiden. Doch wer glaubt, dass Sprache rein über das Gehör erlernt werden kann, der irrt sich. Neben intakten Wahrnehmungsleistungen wie Gehör und Sensomotorik sind noch diverse grundlegende kognitive ebenso wie sozial-kommunikative Kompetenzen von Nöten. Um ein Beispiel zu nennen, das einige dieser Kompetenzen beinhaltet: Der Vater wirft dem Kind einen Ball zu und sagt: «Fang den Ball», das Kind wirft den Ball zur Mutter, die diesen hinter ihrem Rücken versteckt und fragt: «Wo ist der Ball, bei Papa?». Fachlich betrachtet, haben wir hier den triangulären Blickkontakt (Vater/Mutter/Kind), geben und zeigen, Absicht ausdrücken, um Hilfe bitten, Turn-Taking Spiel, Nachahmung, Symbolspiel und Objektpermanenz, also dass das Kind sehr wohl weiss, der Ball ist nicht weg, nur weil es ihn gerade nicht sieht. Auf diese Weise finden viele verschiedene Verknüpfungen statt, die essenziell sind, um sprechen zu lernen. Sprache ist etwas sehr Abstraktes, deshalb sind diese Fähigkeiten und z. B. das Imitieren sehr wichtig, auch wenn man sie normalerweise gar nicht mit Sprache verbindet. Die ersten Dialoge kommen ganz ohne Sprache aus. Gesten zu erlernen ist wesentlich, nicht nur im Italienischen (lacht). Zum Beispiel an der Kleidung zu ziehen und damit auszudrücken: Mama, ich will was von dir.

Consumo: Was lernen die Kinder denn ganz am Anfang?

Coors: Das Erste, was Kinder aufnehmen, ist die Prosodie, also die Sprachmelodie, weil für sie Sprache wie Musik ist. Sie hören die «Melodie», aber erfassen noch nicht wirklich die Bedeutung von Sprache. Da die Sprech-Modulation von den Eltern übernommen wird, klingen Mutter und Tochter am Telefon häufig zum Verwechseln ähnlich.

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Consumo: Oft hört man Eltern mit ihren Kindern in einer Art «Aduzidei-Babysprache» sprechen und dann wieder diejenigen, die in hochtrabenden Schachtelsätzen auf den Säugling einreden. Gibt es da Empfehlungen?

Coors: Ja, und zwar, dass man sich immer dem Sprachniveau anpasst, auf dem das Kind in der Entwicklung steht. Das startet mit Gesten und den ersten Versuchen: Mama, nein, Wauwau. Also Ein-Wort-Äusserungen oder auch Generalisierungen, Wauwau ist dann alles, was vier Beine hat. Erst später wird es zur Kuh und zum Hund. Sagt mein Kind Ball, dann sage ich: Ja, ein Ball, da ist ein Ball. Überfordernd wäre: Oh ja, mein Schatz, da siehst du ja einen ganz tollen, grossen, runden Ball. Grundsätzlich gilt: Sprechen Sie normal mit dem Kind auf Augenhöhe und eben entsprechend dem Entwicklungsstand.

Consumo: Manch Schweizer*in fragt sich, ob es besser wäre, mit dem Kind Schriftsprache zu sprechen anstatt Dialekt?

Coors: Sprache zu lernen ist bei Kindern ganz stark mit Emotionalem verbunden. Sprechen Sie daher unbedingt mit Ihrem Kind Ihre «Herzenssprache», in der Sie sich am wohlsten fühlen. Kinder können problemlos mehrere Sprachen gleichzeitig lernen, ein Dialekt und Schriftsprache parallel ist erst recht kein Problem für sie. Ein Tipp: Wenn Sie etwas vorlesen oder z. B. als Lehrer den Unterricht gestalten, nutzen Sie die jeweilige Schriftsprache im Kontext passend als Bildungssprache. Geht es um Alltägliches, wie die Pausengestaltung oder das Mittagessen, dann nutzen Sie dem Kontext entsprechend den jeweiligen Dialekt als Alltagssprache.

Consumo: Herzlichen Dank für das Gespräch

Infobox zu Corinna Coors:

Als Logopädin lernte sie Sprech-, Stimm- und Sprachstörungen zu diagnostizieren und zu behandeln. In Seminaren für Erzieher*innen klärte Corinna Coors schon früh über die Themen der Mehrsprachigkeit auf. Mit ihrer Fortbildung zum Authentic Voice Coach intensivierte sie ihren Erfahrungsschatz über die Stimme hinsichtlich Ausdruck, Emotion, Präsenz und Kommunikation.

Durch die Weiterbildung zur zertifizierten Stimmtherapeutin vertiefte Corinna Coors ihr Wissen im Bereich Stimme, Entspannung und Körperwahrnehmung, so dass sie heute als Stimmcoach Seminare, Workshops und Einzeltrainings gibt. Sie arbeitet ausserdem als Sprecherin und Moderatorin und unterstützt Studierende an der Film-Schauspielschule in Zürich als Stimmtrainerin. Weiterführende Infos unter www.stimmcoach-bodensee.de

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