Körperkult mit Geschichte
Individualismus, der unter die Haut geht
Für viele Naturvölker symbolträchtiger Körperschmuck, war das Tattoo bei uns lange verpönt. Türsteher, Seebären, Knastbrüder und Zuhälter: Was früher in unserer Region ein Privileg der Unprivilegierten war, ist heute Ausdruck von Individualität.
Viele Lädchen verschwinden aus unseren Innenstädten, während sie aufgefüllt werden von Tattoo- und Piercing Studios. Giada Ilardo hat für ihre Studios einen anderen Weg gewählt. In der Dimension von grossen Flagstores, wie man sie eher von Apple und Co. kennt, zeigt sie, welchen Stellenwert ein edles Körperstyling inzwischen erreicht hat, und bedient die Wünsche einer anspruchsvollen Zielgruppe. Consumo sprach mit Basil Flachsmann, CVO von Giahi in Zürich über Phänomen und Hintergründe von Tattoos.
Consumo: Manch einer fragt sich, ob Tattoos nur Trend sind oder gar süchtig machen und was einen dazu bewegt, sich für die Ewigkeit «quälen» zu lassen.
Basil: Es gibt viele Gründe, sich tätowieren zu lassen, meist geht es dabei um die persönliche Individualisierung, dass man sich schmücken und von anderen abheben kann. Und es gibt viele Leute, die mit Tätowierungen Traumas verarbeiten, die sozusagen ihre Lebensgeschichten auf dem Körper hinterlegen. Vielfach sind es Erinnerungen, die man festhalten und auch visualisiert zum Teil von sich werden lassen möchte. Das hat oft mit Verlust zu tun. Es kann verschiedene Gründe geben, aber am Ende ist es meist, seine sehr persönliche Lebensgeschichte bei sich zu tragen. Das erklärt auch, weshalb Viele sich mit der Zeit weitere Tattoos stechen lassen. Ihre Lebensgeschichte geht weiter und sie machen neue Erfahrungen, die sie ergänzen wollen. Es gibt keine Studie, die beweist, dass Tattoos süchtig machen. Ich z. B. habe viele Tattoos, doch ich habe mich jetzt fünf Jahre nicht tätowieren lassen.
Consumo: Du meinst neben einer veränderten Auffassung von Kunst und Schönheit ist es heutzutage in erster Linie der Wunsch nach Identität und Individualität. Die ältere Generation kennt es eher, dass Standesunterschiede und soziale Bedeutung etwa über Schmuck und Kleidung zum Ausdruck kamen, heute wird quasi der Körper selbst inszeniert. Manchen fehlt das Verständnis darüber. Welche Erfahrungen hast Du mit Vorbehalten gegenüber Tätowierungen gemacht?
Basil: In unserem Bereich, dem Fine Art (*), werden Tattoos klar als Kunstwerke definiert und verstanden. Die Entwicklung hier und was heute möglich ist, ist enorm. Und das fasziniert auch ältere Leute. Wir haben jede Woche mindestens eine ältere Dame, die sich mit 80 oder 85 das erste Tattoo stechen lässt. Giahi steht für die Freiheit, der eigenen Einzigartigkeit individuell Ausdruck verleihen zu können. Immer mit Stil und höchstem Anspruch. Stil kennt keine Altersgrenze, daher glaube ich, wer den Weg zu uns gefunden hat, hat keine Vorbehalte, weshalb ich damit noch nie konfrontiert worden bin.
Consumo: Als Fine Art Künstler geht es Dir sicherlich oft so, dass Du Tätowierungen siehst, bei denen Du einfach nur sagen musst: «Oh mein Gott!» Was machst Du dann?
Basil: Davon sehe ich leider sehr viele. Es gibt viele Aspekte, wieso ein Tattoo gut ist und noch mehr, wieso nicht. Natürlich hast Du auch die Aufgabe, manches zu retten. Wir versuchen immer was zu machen, weil wir möchten die Leute nicht im Regen stehen lassen. Aber da wir auf dieses ganz feine Filigrane spezialisiert sind, ist das natürlich viel schwieriger. Das heisst, was wir machen, ist eher umschmücken, ausarbeiten, mehr dazu machen, so dass das Alte ein bisschen in Vergessenheit gerät und das Neue eher hervorsticht. Und dann ist es auch nicht mehr schlimm, wenn man das Alte sieht, sondern es ist ein Teil vom Ganzen, am Ende eine schöne Kombination.
Herzlichen Dank für das Interview!
(*) Fine Art bzw. Fine Line sind filigrane, dezente Tätowierungen und manchmal auch nur die Umrisse vom Motiv. Das Wunschmotiv wird sozusagen auf die einfachste Art und Weise dargestellt.